Die Dekarbonisierung von Bestandsflotten stellt viele Unternehmen vor Herausforderungen. Daher avanciert HVO100 zum Heilsbringer. Der Stoff verspricht gutes Gewissen durch die Nutzung von Reststoffen und Emissionseinsparungen. Doch stimmt das wirklich? Ein Überblick von (Ökonomie-)Physiker Mario Buchinger im #RestartThinking Blog.
Unterscheidung HVO100 und E-Fuels
In der aktuellen Diskussion um alternative Antriebsstoffe werden häufig E-Fuels und HVO100 verwechselt. HVO steht für „Hydrogenated oder Hydrotreated Vegetable Oils“ und wird aus pflanzlichen Fetten und fetthaltigen Reststoffen gewonnen, die mit Wasserstoff behandelt werden. E-Fuels benötigen als Ausgangsstoff CO2, das gemeinsam mit Wasserstoff in einem weiteren Verarbeitungsprozess zu einem synthetischen Kraftstoff wird.
Somit brauchen sowohl HVO als auch e-Fuels Wasserstoff, welcher in regenerativer Form selten und damit teuer ist. Eine weitere Gemeinsamkeit ist der enorme Energieaufwand bei der Herstellung und eine katastrophale Effizienz im Betrieb. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik ist keine verhandelbare Regel.
Pflanzenreste heiß begehrt
Die Ausgangsstoffe für HVO100 sollen, nach Versprechen der Hersteller, aus Abfällen stammen, die man sonst entsorgen müsse. Doch das greift zu kurz. Diese Rohstoffe sind schon heute sehr begehrt. Prozesse in der chemischen Industrie oder auch die Luftfahrt benötigen sie. Gerade bei der Luftfahrt wird aufgrund der SAF-Quoten (Sustainable Aviation Fuels) der Bedarf an pflanzlichen Rohstoffen in den nächsten Jahren noch deutlich steigen.
Woher stammen die Rohstoffe für HVO100?
Daten aus dem Jahr 2023 für Europa machen klar, dass acht Mal mehr Pflanzenöl verarbeitet als in Europa eingesammelt wurde. Recherchen zeigen, dass die Rohstoffe häufig aus Soja oder Raps stammen und damit eine Flächenkonkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion entsteht. Noch schlimmer wird es, wenn Palmöl aus Asien verwendet wird. Das ist zwar verboten, aber die europäische Staatsanwaltschaft EPPO ermittelt gerade europaweit, weil es Verdachtsfälle bezüglich HVO gibt.
Die alten Probleme bleiben bestehen
Neben den Problemen mit den Ausgangsstoffen muss der Transport nach Europa, die Herstellung von Wasserstoff sowie die energieaufwändige Verarbeitung berücksichtigt werden. Summiert man all diese Effekte, dann ist die Klimabilanz der meisten HVO100 Stoffe schlechter als die von Benzin oder Diesel. Zudem ist der Betrieb im Verbrennungsmotor extrem ineffizient und es bleibt die Probleme mit giftigen Abgasen und Lärm.
Fazit
HVO100 ist nicht die klimafreundliche Lösung, für die es beworben wird. Die Anbieter solcher Stoffe wollen damit verhindern, dass ihre Investitionen in z.B. Tankstellen, Kraftstofflogistik und Lagersysteme in den nächsten Jahren zu „stranded assets“ werden, also Investitionen, die sie teils mit Verlust abschreiben müssen. Kund:innen, die auf die Versprechen reinfallen, laufen in die Kostenfalle, da auch Verbrennerfahrzeuge zu „stranded assets“ werden.
Wir befinden uns derzeit in einer der größten Revolutionen der Wirtschaft seit der Industrialisierung. Die E-Mobilität ist kein Dogma sondern endlich eine effizientere Form der Energienutzung. Volkswirtschaften, die das verstanden haben, gehen konsequent voran. Protagonist:innen, die Pseudo-Alternativen wie HVO100 und auch E-Fuels anpreisen, ignorieren diese Transformation. Doch sie findet statt. Die Regeln der Physik und auch die resultierenden Marktveränderungen sind nicht verhandelbar.

Dr. Mario Buchinger
Transformationsexperte und (Ökonomie-)Physiker
Wir von Buchinger|Kuduz sind spezialisiert auf Strategie-, Prozess- und Klimatransformation. Mit mehr als 20 Jahren internationaler Erfahrung im Bereich Kaizen und Lean begleite ich Organisationen bei der Verbesserung und Klimatransformation. Wenn Sie konkrete Herausforderungen und Fragen haben oder auf der Suche nach inspirierenden Keynotes oder konkreter Unterstützung sind, freue ich mich auf Ihre Nachricht.